ca. Mai 1998

DIE MACHTKÄMPFE DER BÜROKASTRATEN

- Singapurs "TheatreWorks" heute im HdKW -

 

Singapurs Theateravantgarde trumpft auf mit einem selbstbewußten asiatischen Multikulturalismus. Aus der Wiedererweckung der zahlreichen Traditionen zwischen Indonesien und China und ihrer Zusammenführung auf der Bühne schöpft das "post-post-moderne" Theater des Stadtstaats einen Formenreichtum, der die kom­plexen sozialen Probleme der postko­lo­nia­len Vielvölker­gesell­schaft eben­so wie historische Themen und klassische westliche Stoffe in neu­artiger, oft spektakulärer Weise ver­arbeitet. Der Kopf dieser Bewe­gung, der Regisseur und Theater­lei­ter Ong Keng Sen, derzeit mit dem im ganzen asiatischen Raum umjubelten "TheatreWorks" Ensemble in Berlin zu Gast, stellte am Donnerstag im HdKW seinen auf sieben Jahre ange­leg­ten Workshop asiatischer Künste vor, mehr als nur ein Versuch, aus kultureller Wirklichkeit eine neue Ästhetik zu erarbeiten.

Seine Inszenierung des Stücks "The Descendants of the Eunuch Admiral" (Die Nachfahren des Eunuchen-Admi­rals) von Kuo Pao Kun, das die "TheatreWorks" heute noch einmal im Haus der Kulturen der Welt auffüh­ren, schlägt in einem gewaltigen Zeitsprung eine Verbindung zwischen der Geschichte des mächtigen Admi­rals Zenghe, eines chinesischen Eunuchen, der um 1400 lebte und der modernen Hochleistungsgesellschaft Singapurs. Kastration, im alten Chi­na die Eintrittskarte in die Hallen des Kaiserhofes und der Macht, wird in dem Stück als Metapher für die see­lische Verstümmelung des heutigen Büroangestellten dargestellt. Nicht nur beißende Satire im weichen gut­verständlichen Singapur-Englisch, son­dern multimedialer Bildersturm, u.a. mitgestaltet von Installations­künstler Matthew Ngui, an dessen "verzerrte Stühle" sich jeder docu­menta-Besucher noch erinnern dürfte.

Matthias R.Entreß

 

Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10. Beginn heute 20.30 Uhr. Kartentel.: 39 78 71 75