Dezember 1997

MORIBA SPIELT AGAMEMNON

 

Die schwarze Wüste der tragischen Empfindung ewiger Flucht. Eine Gruppe ekstatischer Mönche, Zeugen der schrecklichen Ereignisse am Königshofe zu Argos, wo Agamemnon nach der Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg von Klythaimnestra ermordet worden war, läßt sich zur Rast nieder und wird, krank von der Erinnerung, von den Geschichten übermannt. Das Erzählen wandelt sich in ein schon oft vollzogenes qualvolles dramatisches Ritual mit verteil­ten Rollen. In einer äußerst geschickten Brechung der Erzähl­perspektive werden die durch ihre Erlebnisse traumatisierten Mönche - sozusagen der »Chor« des realen Dramas - zu den Gestal­­tern des Atridenmythos. An die Anfänge des Theaters versetzt Thomas Roths Insze­nie­rung von »Agamemnon« des Aischylos die Spieler der Theatergruppe MORIBA in den Sophiensaelen. Die auch in der modernen Nachdichtung Gerhard Kellings nicht vorgesehene Rahmenhandlung wird allein mittels des Spiels klargemacht.

Anders aber als in Brechts »Maßnahme«, wo ebenfalls ein Bericht mit verteilten Rollen abgeliefert wird, scheitert immer wieder der Versuch der von ihren Rollen besessenen Perso­nen, eine intellektuelle Distanz zu erreichen und sich also endlich von den Seelenqualen zu befreien. So erst gewinnt der Mythos seine Kraft. Nicht die Ereignisse selber, sondern deren Wirkung auf die Menschen, deren Weltbild erschüttert wurde, ist das Thema der Inszenierung.

Was am Anfang der Aufführung noch in schönem mehrstimmigen Gesang mit Chor und Solisten beherrschbar scheint, verliert im Verlauf der fast zwei Stunden dauernden Aufführung seine gesittete Form. Überdruß und scharfe Ironie, mit denen sich die »Mönche« der Gewalt der Ereignisse zu erwehren versu­chen, schlagen um in ein expres­sionistisches Kabinett der Nerven­krankheiten und Besessen­heiten, welche die Körper sich in Schreikrämpfen winden lassen. Was die moderne Nachdichtung Kellings gegenüber der alten Droysenschen an Verständlichkeit gewinnt, geht hier zwar wieder verloren, die interessante Interpretation der Phänomene Mythos und Theater, die das MORIBA Theater hier liefert, lohnt den Besuch aber allemal.

Matthias R. Entreß

 

Sophiensaele (Virchowsaal), Sophienstr.18. Vorstellungen am 19.-21., 23., 26.-28., 30.Dez. und 2.-4., 6.-10.Jan. jew.21 Uhr. Tel.Vorbestellung unter 283 91 277