~21.11.97 taz

»SCHOOL OF UNDERSTANDING« Michael Mantlers melancholisches Musiktheaterprojekt hat heute im Hebbel-Theater Premiere

 

Genauso, wie sich Michael Mantlers Nationalitäten verwischen (in Wien geboren, 30 Jahre USA, jetzt in Kopenhagen zuhaus), verweigert sich auch seine Musik eindeutigen Zuordnungen.

Seine »School of Understanding«, eine Art Oper, wie es im Untertitel heißt, ist ein musikalisch und inhaltlich ungemein geschlos­senes Werk und eine Gattung für sich. Drückt einem der Text unweigerlich einen dicken Kloß in die Kehle ob der in ratloser Verwunderung aufge­zähl­ten universellen Greuel unserer Welt, versetzt die Musik den Hörer (und die Personen des Spiels, die Sänger) an einen jenseitigen, mystischen Ort abseits von Gefahr, an eine Zuflucht des Nachdenkens und der Rekonvaleszenz.

Die Figuren, fünf Schüler in der Schule des Verstehens, ein Lehrer und ein aus dem Hintergrund kommentierender Beobachter (gespielt von Jack Bruce), sind präzise gezeichnete musikalische Charaktere, die ihr Verhältnis zu Armut, Kriegen und Völkermord zu klären versuchen. Diese durch Musik und Raum zu Trägern zukünftiger Verantwortung erhöhten Figuren in eine Opernhandlung zu verstricken, hätte Mantler als geistlose Konvention abgelehnt. Statt um Vorgänge geht es um Zustände. Somit hat die Bühne nicht bloß Spielfläche zu sein, sondern ist ein unentrinnbarer riesiger Monitor, der die künstlerisch ausgefeilten Photographien des Brasilianers Sebastiao Salgado als Dokumente vom menschlichen Elend herbeizitiert und sie mit den anderen Elementen verschmilzt. Für das Hebbel-Theater hat der Regisseur der dänischen Uraufführung, Rolf Heim, das multimediale Gesamtkunstwerk ganz neu in Szene gesetzt.

Mantler, einst Gründer und Arrangeur des Jazz Composer's Orchestra, hat für sein Bühnenwerk eine Musik von abgeklärter Trauer, gebettet auf federnden Rhythmen komponiert. Die Stilsynthese von lebhaft sich wandelnden Minimalmustern und Rockeinschüben hat vom Jazz das wenigste. Mantler kann jedoch keinen Bruch in seiner kompositorischen Entwicklung feststellen, sieht sich vielmehr unabhängig von Stilen. Er ist nicht allein. Neben seinem dänischen Kammerorchester zählen solch prominente Musiker wie Jack Bruce und Don Preston in Berlin zu seinen gleich­gesinnten Mitstreitern.

Mit dem Komponisten sprach Matthias Entreß

 

Hebbeltheater, Stresemannstr.29, 21.-23.11., jew. 20 Uhr