23.4.1998

BOBEOBI - DAS 3.LAUTPOESIE-FESTIVAL

Poesie ohne Worte - Der Mund, das sprechende Instrument

 

Mund und Stimme sind die ersten Instrumente menschlichen Aus­drucks. Die elementarsten Bedürf­nisse des Menschen, aber auch über alles Sagbare hinausgehende Emp­fin­dungen formen sich wortlos. Daß in der Spanne zwischen diesen Ex­tre­men nicht nur die Welt der Dichtung, sondern auch eine ganz eigene vielgestaltige Kunstgattung liegt, ist hierzulande nicht jedermann bewußt. Es mag sein, daß die Fehldeutung von Kurt Schwitters' überwältigender "Ursonate" als Witz des Antikünstlers den Zugang zu einer ganzen Gattung versperrt hat, die woanders höhere Achtung genießt.

Daß sich dies auch in Deutschland ändert, dafür steht das seit 1994 alle zwei Jahre stattfindende Berliner Lautpoesie-Festival BOBEOBI, bei dem ab Donnerstag an drei Abenden in der WABE in Prenzlauer Berg 15 Künstler aus 9 Ländern zeigen, welche Möglichkeiten es jenseits der konventionellen Hörkünste gibt. Die Lautpoesie, ein eigentlich zu knapper Begriff, sieht sich nicht in der Nachfolge des Zungenredens, wie es in ekstatischen Religionen gepflegt wird, sondern ist die re­flek­tierte künstlerische Gestal­tung menschlichen Ausdrucksmaterials. Die absolut zentrale Be­deu­tung von Mund und Stimme, die "visuell demonstriert, gesprochen und artikuliert und gesungen" werden wird,  ver­langt nach der Heranziehung al­ler verfügbaren körperlichen, künst­lerischen und technischen Mittel.

Das Programm des Festivals ist so vielfältig wie die Zahl der Künstler. Ein besonderer Reiz ist die unterschiedliche sprachliche Herkunft [der Künstler]. Da Worte (fast) keine Verwendung finden, sind Übersetzungen nicht notwendig. Die Laute, die der Inder Krishna Kumar, die Koreanerin Grace Yoon oder der von japanischen Vorfahren abstammende Kanadier Nobuo Kubota hervorstoßen, bewahren den spezifischen Klang der jeweiligen Muttersprache. Während Kubota stark vom Scatgesang des modernenen Jazz beeinflußt ist, sieht sein Partner W.Mark Sutherland seine Wurzeln bei John Cage und Marcel Duchamp, also in der den Kunstbegriff erweiternden Avantgarde. Beide arbeiten vornehmlich improvisatorisch. Michael Hirsch dagegen ist Komponist. Seine "Tischszene", die er für sich, Schauspieler Robert Podlesny, 2 Cassetten- und einen DAT-Recorder extra für das Festival geschrieben hat, wird sich dem Wort nicht ganz verweigern. Isabeella Beumer wiederum betrachtet die Stimme als Kraftzentrum des Körpers, der die Spannungen auch sichtbar macht, die sich in ihrem Mund bündeln.

Achtung! Rechtzeitiges Erscheinen ist angeraten!

Matthias R.Entreß

 

BOBEOBI, Internationales Festival der poesie sonore in der WABE, Danziger Str. 101, Berlin Prenzlauer Berg, 23.4.-25.4. jew.20.00 Uhr