12.9.1998
WASSERSPEICHER VOLLER MUSIK
- Eröffnung der Kryptonale mit Raumklangkonzert, Tanz und Radiokunst -
Tonal, atonal, kryptonal - fremde Klänge in verborgenen Kammern. Bei ihrer 4.Ausgabe muß sich die Kryptonale nicht mehr für den konzertunüblichen Ort entschuldigen, an dem sie stattfindet: Der kleine Wasserspeicher Prenzlauer Berg animiert neue Musizierformen und erweitert das Rezeptionsverhalten. Die ersten drei Abende präsentieren Raumklangkonzerte unter Mitwirkung des Elektronischen Studios der TU Berlin, während am nächsten Wochenende Instrumentalensembles dominieren.
Das Eröffnungskonzert am Donnerstag lotete die klanglich-darstellerischen Möglichkeiten der unterirdischen Gewölbe aus.
In Ralf R.Ollertz' »Isson« wanden sich zwei Tänzer durch die wechselnde Dichte der dezentrierten Musik aus Tonbandgeräuschen, tröpfelnder Perkussion und den melodischen Gesten einer Geige. Raumklang als Körperbild.
Eine konzentrierte Improvisation mit dem Titel »Aqualibre« führte Wolfgang Fuchs' Gruppe »berlin factory« vor. Während präpariertes Klavier und Schlagwerk natürlich an ihren Ort gefesselt waren, erforschten die Sängerin und drei Bläser vom Zentrum ausgehend den Raum. Die Musik, punktuelle Einwürfe aus dem herkömmlichen Tonbildungsrepertoire der Neuen Musik, überbrückte oft den ganzen Durchmesser des äußeren Rings und fungierte so für die Ohren der Hörer als Raumfühler - sie breitete sich im Raumbild aus. Die Besucher waren, wie bei »Isson« die Tänzer, frei, in der Musik umherzuspazieren; der Pluralismus des musikalischen Verhaltens erstreckte sich auf alle Anwesenden.
Zum Abschluß ein Stück Radiokunst, »Penthesilea-Aubade« von Carlo Quartucci, das Kleists kraftvolles Deutsch dem Klang der italienischen Übersetzung, Naturgeräuschen und Flötenmusik von Sukhi Kang gegenüberstellte. Radiokunst im Konzert? Diese Synthesen aus Hörspiel, Musik und Klangcollage werden auf 8 und mehr Kanälen produziert. Im Wasserspeicher entfalten sie dank der hervorragenden Technik des Elektronischen Studios der TU wahrhaft erschütternde Raumklangwirkungen.
Am heutigen Samstagabend spielt das Kammerensemble Neue Musik Berlin einen Klassiker der elektroakustischen Musik: Karlheinz Stockhausens »Kurzwellen«, umrahmt von Werken für Sopran und Tonband und einer 3-D-Lautsprecher-Performance von Sabine Schäfer. Ab nächsten Freitag folgen Auftritte des Ensembles Junge Musik, des Kasseler Glasmusik-Ensembles (18.), des Pellegrini Quartetts, das Stücke von Scelsi, Xenakis und Feldman im Wechsel mit Tanz bzw. Improvisation spielt (19.) und von Work in Progress (20.). Für das exquisite Musikerlebnis in dieser fast surrealen Avantgarde-Kulisse empfiehlt sich warme Kleidung!
Ergänzt wird das Programm durch die Klanginstallation »Nähe und Abstand« im Großen Wasserspeicher, wo sich die Zusammenarbeit dreier Künstler Dyffort/von den Driesch/Lebkücher zu der sehr speziellen Wirkung sich beißender Sinustöne kondensiert. Im Kleinen Wasserspeicher analysiert Karen Bartrams farbige »Belichtung« im Wechsel mit fast totaler Dunkelheit die Architektur.
Matthias R.Entreß
Konzerte
im Kleinen Wasserspeicher Prenzl'berg, Eingang Kolmarer Str., heute (Sa, 12.9),
18.- 20.9. jew.21 Uhr. Installationen im Großen Wasserspeicher Eingang
Belforter Str. bis 20.9. tgl.16-23 Uhr, Sa/So ab 14 Uhr, Kl.Wassersp. an
Konzerttagen nur bis 20 Uhr.
Info- und Kartentel.: 42 85 03 54