ca. Mai 1998
KIM HYONOK UND KIM KEUM-WHA - ZWEI ASPEKTE DES SCHAMANISMUS
Zu leicht geht
einem die Feststellung von den Lippen, die koreanischen Künste, insbesondere
das Theater, seien stark vom Schamanismus beeinflußt. Tatsächlich ist die
koreanische Theatergeschichte nicht so alt und reich wie z.B. die japanische
und begann mit der Übernahme europäischer Formen. Daher nagt an vielen um die
Entwicklung einer nationalen Kultur besorgten Künstler der Wunsch, diese
Kunst in der eigenen Tradition zu verwurzeln. Darüber nachzudenken bot das
HdKW in der "schamanistischen Woche" im Rahmen des Koreaprogramms
reichlich Anschauungsmaterial. Der künstlerische Rückgriff auf die Bräuche
dieser ältesten koreanischen Religion erwies sich dabei keineswegs als
gottgegeben, sondern als ästhetisch problematisch.
Während Lee Yountaek in seinem "Hamlet" und "Ougou - ein Todesritual" (wir berichteten) mit den lärmenden und bunten Erscheinungsformen des Schamanismus zwei unterschiedliche "Theater auf dem Theater"-Situationen zeigte, bezog sich die in Paris ausgebildete Choreographin und Tänzerin Kim Hyonok auf die Weltvorstellung der zugrundeliegenden Naturreligion und blieb dabei der westlichen Moderne verpflichtet. Die Geschichten, die sie in den Ensemblestücken erzählt, erkunden die Spannung zwischen dem leidenden, verkrümmten Individuum und den Welten des Seins und Nichtseins.
So versucht
in der in rotes Licht getauchten Choreographie "Modus" ein gegen
unsichtbare Gewalten kämpfendes Wesen - die der Schwerkraft trotzenden Kim -
seinen Platz unter den anmutig Reigen tanzenden wurzelgekrönten Waldgeistern
zu erhalten und verstört doch nur deren Ordnung.
Der Schamanismus hat die Aufgabe, das Unfaßbare, den Tod, in die Wirklichkeit einzufügen. In ihrer Multimedia-Performance "Trans - Insel der wartenden Seelen", welches die Daseinsform der nach dem Tode freigesetzten aber noch nicht in die Geisterwelt aufgenommenen Seele ergründet, irrt eine wartende Seele auf der Projektion durch eine australische felsübersäte Wüstenlandschaft und wird von in Trauer zerrissenen Frauen mittels hochartifizieller Trommel- und Schwerttänze ins Jenseits geleitet. Die Verwechslung von Ekstase und Expression - die Tänzerinnen wanden sich in Schreikrämpfen -, der beliebige Einsatz von Musik (Isang Yuns Orchesterstück "Namo" als bloßes Hintergrundgeräusch) sowie das allzuhäufige Einschalten der Nebelmaschine zeigten die Risse in der Synthese zwischen Ost und West.
In ihrem Soloauftritt am Samstag brachte Kim Hyonok eine Hommage an Isang Yun, den 1995 in Berlin verstorbenen Komponisten. Hier stand die Musik im Vordergrund. Die Tänzerin nahm sie als Ausdruck der unsichtbaren Welten und wand sich in ihren Strömen, formte den Ausdruck der Musik mit ihrem biegsamen Körper nach. Doch wozu diese charismatische Frau eigentlich fähig wäre, dem Publikum als Medium von Zauberwelten zu dienen, gelang ihr, in Demut der Musik unterworfen, nicht.
Artistik, Tanz, Musik, freche Reden, schauerliche Vorgänge - in den von der Schamanentruppe um Kim Keum-Wha vor einem reichgeschmückten Tisch mit Obst und Leckereien aufgeführten Ritualen fanden sich viele Elemente wieder, die in den vorangegangenen Aufführungen zitiert worden waren. Während Schauspieler Rollen spielen, werden Schamaninnen von Seelen als Sprachrohr benutzt oder sie reden mit Göttern und Geistern und versuchen sie, durch Lockungen und Bestechung (die Anwesenden werden wiederholt zu Spenden aufgerufen) in ihrem Sinne zu manipulieren. Nach einem 3 1/2 stündigem Gemeinschaftsritual, dessen Höhepunkt die zum Schreien komische Darstellung böser und verlogener Geister und der Tanz der Schamanin auf scharfen Messern war, wurde eine Totenzeremonie für Isang Yun gefeiert. Nachdem der Ort von Unheil gereinigt worden, der Höllenbote bestochen, bewirtet und fortgeschickt war, nahm Yuns Seele, die sich zu diesem Zwecke Kim Keum-Whas bediente, von seinen sichtlich ergriffenen Freunden, darunter Kim Hyonok, Abschied. Den Weg ins Jenseits legte die Schamanin zurück, indem sie erst eine Bahn Leintuch, dann eine aus Hanf mit ihrem Körper zerteilte.
Der Unterschied zum Theater ist, daß im "Kut" unsichtbar bleibt, was das Theater zeigt, aber die Vielfalt der Vorgänge muß für jeden Theatermacher reizvoll sein, wenn er auf die Längen des Rituals verzichten darf.
Matthias R.Entreß