Februar 1998

 

MORRISON HOTEL

- Gilla Cremers erschütterndes Solostück über die Poprevolte der 60er Jahre

 

Mit den Doors und Jim Morrison war 1965 der Ernst des Lebens, die Philosophie in die Jugendkultur der 60er getreten. In Amerika war es der Vietnamkrieg, in dem die Jugend verheizt werden sollte, in Deutschland die satte Zufriedenheit der Elterngeneration, die die Mitschuld an den Greueln des Nationalsozialismus als Privatsache behandelte.

Als Jim Morrison in der Badewanne seines Pariser Hotelzimmers starb (und als Jimi Hendrix und Janis Joplin starben) und die Idole sich zur Legende verwandelten, war Gilla Cremer gerade 15. Es ist das Schicksal der nach 1955 Geborenen gewesen, von etwas gestreift worden zu sein, was die nur wenig Älteren als etwas Einzigartiges, Kraftvolles als Orientierung besessen hatten. Doch Gilla Cremers Verbindung zu dieser Zeit war enger und sie war tragisch. Sie war die kleine Schwester von Tom, den die Bewegung voll erfaßt hatte, der die Drogenexperimente mitgemacht hatte, der, als die großen Stars starben, schizophren wurde, so, als wäre diese erschreckende Krankheit, die einen der Welt fremd macht, Ausdruck des Widerstandes gegen die Vereinnahmung durch eine kalte Gesellschaft. Von Fremdheit ist in den Liedern Jim Morrisons oft die Rede.

Aber diese Fremdheit stand für das Erwachen einer Generation und sie fand ihren Ausdruck in dieser Musik.

Es ist die 41-jährige Gilla Cremer, die auf die kahle schwarze Bühne Trauerblumen streut und eine kurze schlichte Widmung an ihren toten Bruder spricht. Doch dann beginnt ein Spiel, das aus der einen Darstellerin drei Figuren macht, von ihnen besessen wird: die Gilla der Vergangenheit, ihr verehrter Bruder Tom und das prägende Genie Jim Morrison. Die Geschichte wird als eine in die Gegenwart herübergerettete Ballung aller imaginären und tatsächlichen Verflechtungen zwischen ihr, Tom und Morrison erzählt. Es berührt zutiefst, wenn die altkluge Schwester den Bruder von seinen bereits pathologischen Erregungs­zuständen abbringen will. Toms wildes Gebahren ähnelt dem des Rockstars und übertrifft es, aber die Cremer unterscheidet sehr genau zwischen dem Poeten und seinem Anhänger. Jim Morrison bleibt in dem Stück kein unerreichbares Idol, sondern der Admiralssohn wird in seiner eigenen familiären und kulturellen Problematik dargestellt. Doch Tom entwickelte statt poetischer Metaphern die Geisteskrankheit, als die die Jugendkultur nur zu gern von der verklagten Elterngeneration angesehen wurde. Gilla Cremer in Jim Morrisons Bühnenkluft, der knallengen schwarzen Hose und dem weitoffenem weißen Hemd, führt, wie von Geistern besessen, drei Innenwelten vor. Und ist auch der Preis, Toms Krankheit und sein Todessprung aus dem Fenster - »andere sagten, er habe das Gleichgewicht verloren« - zu hoch gewesen, so hatte die kleine Gilla doch intensiver als ihre Altersgenossen die innere Freiheit nutzen können, die ihr großer Bruder vorbereitet hatte, der »Unknown soldier« (Doors-Titel) einer rebellischen Generation. Gilla Cremer zeigt in ihrem keineswegs peinlich persönlichem Spiel, daß eine Jugend nicht sterben muß, indem sie verstreicht, und sie rettet sogar zwei für ein erschüttertes Publikum.

Matthias R.Entreß