PROBLEMLOSE WELT

- Das RSB zu Gast in der Philharmonie -

 

Für eins ihrer nicht sehr häufi­gen Gastspiele in der Phil­har­mo­nie am vergangenen Samstag hat­ten sich das Rundfunk-Sinfonie­or­chester Ber­lin (RSB) und sein Chef­dirigent Rafael Frühbeck de Bur­gos zwei Wer­­ke aufgespart, die nur mit eini­ger Verwegenheit zu ei­nem Pro­gramm konstruiert werden kön­nen, Ver­dis schönen späten Quatt­ro Pezzi Sacri (1890-97) aus der Zeit vor und nach der Vollendung seiner letzten Oper "Falstaff" und Gustav Mah­lers jugendfrische 1.Symphonie (1888).

In Verdis vier geistlichen Stücken für Chor (von wunderbarer Reinheit: der Rundfunkchor Berlin) mit und ohne Orchester pral­len lithurgische Weihe und zu­rück­haltendster Aus­druck (im Ave Maria) hart auf das bilder­rei­che Sta­bat Mater, Verdis letzter Kom­po­sition, welche die Schmerzen der Hei­ligen Maria als theatralische Chor­erzählung mit harmonisch un­ge­­heuer subtilen groß­orchestralen Stimmungsbildern schildert. Wenn­gleich die Zusam­men­fassung der vier unterschied­lichen und als ein­zelne komponier­ten Stücke zu einem Werk dem Usus des Konzertbetriebs ent­spricht, bleibt sie aus stili­stischen, in­haltlichen und konzep­tu­ellen Grün­den äußerst problema­tisch. Indem Frühbeck de Burgos sie nur um ein Geringes emotional auf­lädt, opfert er die unirdische In­nerlichkeit der á capella Gesänge, um sie in eine vom Komponisten gar nicht inten­dierte Dramaturgie ein­zugliedern. Eine Ahnung davon, welch ein Sym­phoniker Verdi hätte werden kön­nen, vermittelte das Te Deum, das dem Text anstelle opern­hafter Af­fekte reine Musik unter­legt, die sich freier aussingt und [sich] mit klassischem Gestus sonaten­satz­ar­tiger Gegensätze und altherge­brach­­ter Formen wie des Fugatos bedient.

Die Präferenzen Frühbeck de Bur­gos' traten bei der anschlie­ßenden nach einem Roman Jean Pauls be­ti­telten "Titan"-Symphonie Mahlers noch deutlicher zutage, durch­­aus nicht zum besten des Werks. Nach schwungvollen Melodien süchtig, über­ging er die wider­bor­sti­ge Um­ständlichkeit des Anfangs, dräng­­te die fragmentierten Motive ungedul­dig zusammen, ließ auch die naiv scheinende, doch wohlberech­ne­te Bühnenwirkung der von drau­ßen aus der Ferne schmet­ternden Trompeten aus (hier mit Dämpfern gefälscht), und genoß nur die blü­hen­de Melodik der schönen "Wun­­der­horn"-Lieder­welt sowie die selbst­­­ver­gessene Wal­­zerseligkeit im Trio des zweiten Satzes. Aber Mah­lers Erste, die, obwohl sie schon vor Verdis Spät­werk entstand, so vie­le Jahrzehnte ins 20.Jhdt. vor­ahnte, ist nicht nur schwungvoll, son­dern zivilisations­krank und zerfahren. So konnte die klas­sisch-glatte Inter­pretation des RSB an diesem Werk nur scheitern.

Matthias R.Entreß