Sommer 98
FÜLLE DES WOHLLAUTS
- Das Aurelia-Saxophonquartett bei den Hofkonzerten -
Das Saxophon führt in der sogenannten klassischen Musik eine Randexistenz. Es ist ein Instrument für schöne Stellen, mischt sich aber nicht in den Orchesterklang, sondern überstrahlt ihn mit seiner großen runden goldenen Stimme. Welche nicht nur klanglichen, sondern auch interpretatorischen Möglichkeiten es in der eigenen Familie aus Sopran, Alt, Tenor und Baritonsaxophon entfaltet, zeigte das holländische Aurelia-Saxophonquartett in der Parochialkirche im Rahmen der Hofkonzerte.
Mangels eines gereiften zeitgenössischen und kontinuierlichen, dem Streichquartett vergleichbaren klassisch-romantischen Repertoires greifen die mittlerweile nicht mehr ganz seltenen Saxophonquartette gerne auf Bearbeitungen älterer Werke zurück. Die vier Aurelianer begannen ihr Berlin-Debüt am Freitag mit einer ungewöhnlichen Wahl: drei der verzierungsreichen Cembalo-Sonaten des Bach-Zeitgenossen Domenico Scarlatti. Etwas langsamer als im Original gedacht, aber immer in frischem Stakkato und niemals süßlich, gewannen diese Stücke die Morgenfrische barocker Turmmusiken und eine rhythmische Schärfe, die an den klassizistischen Strawinsky erinnerte. Die eigentliche Spezialität der vier Holländer, die seit '82 zusammenspielen, ist die Adaption bedeutender Streichquartette, wobei das Sopransaxophon den Part der ersten Geige übernimmt, das Alt den der zweiten, usw. Bei der Aufführung von Schostakowitschs galligem 7.Streichquartett stand nicht mehr der spektakuläre Klangaustausch, sondern die Auseinandersetzung mit dem Werk im Zentrum des Interesses. Mit Meckern und Klagen stellten die gebogenen Messingröhren den Grimm des unglücklichen Russen greller und direkter dar als Saiteninstrumente das können.
Indem es klassische Formen wie Toccata und Passacaglia moderneren mit freierer Tonalität und erweiterter Tonbildung gegenüberstellte, versuchte John Buckleys dem Aurelia-Quartett gewidmete Saxophonquartett von 1996, die nichtvorhandene Repertoiregeschichte nachzuliefern - aber bis die vier Saxophone ein selbstverständliches Medium universeller Musik sind, wird das Aurelia-Quarett wohl noch länger so gute Überzeugungsarbeit leisten müssen, wie an diesem Abend.
Matthias R.Entreß