ULTRASCHALLUNTERSUCHUNGEN
ÜBER JAPANISCHE UND POLITISCHE MUSIK
Zwischen
der alten japanischen Tradition und dem modernen Japan steht weniger die Zeit
als der Bruch durch die Verwestlichung aller Bereiche des Lebens. Die
Gegenüberstellung von alter und neuer japanischer Musik bei den UltraSchall-Konzerten
am Sonntag im SFB vermittelte ein differenziertes Gefühl für die kulturelle
Situation zeitgenössischer Komponisten in Japan.
Kyoko
Kawamura auf der Wölbbrettzither Koto und Itchu Miyako XII. auf dem
banjoartigen Shamisen führten das Publikum in die vollkommen fremde Welt 300
Jahre alter ritueller Liebesgesänge. Jeder Ton schien ganz für sich zu stehen
und führte ein Eigenleben. Der Klang der japanischen Sprache näherte sich in
der würdevollen Künstlichkeit des Gesangs der Grenze menschlichen Ausdrucks und
erschütterte auch den Westler unmittelbar.
Im
nachfolgenden Symphoniekonzert des DSO unter Ken Takaseki fand man von dieser
Exotik wenig. Was aber bei "Winter" ('71) des 1996 verstorbenen Toru
Takemitsu sofort auffiel, war die vielfältige Bildhaftigkeit des schillernden
Orchesterklanges -somit ein starker Gegensatz zum europäischen Mainstream abstrakt-expressionistischer
Klanggestaltung.
Der
1955 geborene Toshio Hosokawa, (dessen in anderen Konzerten des Festivals
gespielte Kammermusikwerke wie meditative Fremdkörper gewirkt hatten) will die
japanische Tradition keinesfalls imitieren. Der Geist der kaiserlichen
Gagaku-Musik jedoch, so sagt er, sei ihm stets präsent. In seinem hier uraufgeführten
Saxophonkonzert erhebt sich der Solist (spratzelnd und glucksend: Johannes
Ernst) über ein unruhiges Meer aus tausenden Einzelereignissen, die durch das
vollbesetzte Orchester mit symmetrisch geteilten Streichern tanzen. Viel ruhiger,
ja von adliger Gelassenheit das Klangfarbenspiel in seinem anderen Stück
"Ferne - Landschaft II" (1996).
Jo
Kondo, geb.1947, sagt von sich, er sei ein westlicher Komponist, der in Japan
lebt. Seine musikalischen Quellen liegen im europäischen Spätmittelalter und in
der Renaissance. Die aus dem 13.Jhdt. stammende Hoquetus-Technik, ein
kompliziertes Spiel mit ineinander verzahnten Stimmen, lag seinem
faszinierendem Orchesterstück "Zum Kap" zugrunde. Man entdeckt
überraschende Ähnlichkeit mit der klassischen Einfachheit des ersten Konzerts.
Aus dem Einzelnen wächst kristallklar ein sich unentwegt umfärbendes Ganzes.
Was
ist politische Musik? In der Auswahl von Stücken und Komponisten, die der
Amerikaner Christian Wolff für das UltraSchall-Konzert am Tag zuvor (Konzerthaus,
Kl.Saal) mit dem Ensemble UnitedBerlin zu diesem Thema versammelt hatte, lag
die Betonung auf "Musik". Während bei "politischen" Werken
z.B. von Luigi Nono oder Hans-Werner Henze die Musik Zustände beschreibt oder
einem parteinehmenden Text dient, ging es hier um die Vorgänge zwischen den Musikern.
Ganz im Sinne des Brechtschen Theaters war man aufgerufen, zu beobachten, was
geschieht und seine Schlüsse zu ziehen. Ungewöhnlich simpel, eben beobachtbar,
war das zugrundeliegende melodische Material. Aber was der Amerikaner Frederic
Rzewski, 60, in seinem "Crusoe" mit der kurzen Floskel anstellte, wie
er Robinson Crusoes systemkritische Selbstfindung durch schrittweise Aufklärung
eines totalen musikalischen Chaos' illustrierte, war ungemein anstrengend.
Diese Art der mitdenkenden Musikrezeption ist man auch in der Neuen Musik nicht
gewöhnt! Chr.Wolff selber schonte das Publikum in dieser Hinsicht ebenfalls
nicht. Das Aufeinander-Reagieren der Musiker bei seinem "Memory"
('94), zweifellos ein Meisterwerk, hatte eine so komplexe Struktur, daß sie
gewiß für eine ganze Brucknersymphonie ausgereicht hätte.
Matthias
R.Entreß