PLATTENSPIELERKAKOPHONIE
UND TRAUMAMBIENTE
Mit
einigen Annäherungen an die bildende Kunst schloß am Wochenende das
musikalische Begleitprogramm zur "SensationS"-Ausstellung im
Hamburger Bahnhof.
Philip
Jecks am Donnerstag vorgeführte Installation mit dreißig
"Dansette"-Kofferplattenspielern aus den poppigen 60-ern griff auf
jenes Medium zurück, das die Kultur einer ganzen Generation geprägt hatte und
das in der avantgardistischen Clubszene nicht nur in England als Musikmaterial
Auferstehung feiert: die Schallplatte. Mittels Kratzern und Aufklebern zum Hängenbleiben
gebracht oder von verrückt gewordenen automatischen Tonarmen manisch wiederholt
mischten sich einzelne Passagen von Sprache, Musik oder Störgeräuschen zu einem
vielstimmigen Kontinuum. Vor dem Konzert hatte Jeck aus der von Zeitschaltuhren
strukturierten Kakophonie charakteristische Klangereignisse aufgezeichnet und
gab dem Original abends damit eine neue Dynamik. Statt klarer Rhythmik herrscht
bei ihm ein Ungefähr vor; mehr oder weniger zufällige Klangballungen folgen
aufeinander, bis sich jeweils ihre Interessantheit aufgebraucht hat. Die Kunst
des Endvierzigers Philip Jeck, der Installationen mit bis zu 180 dieser auf dem
Trödel zusammengesuchten Geräte ausgeführt hat, ist ein trauriger Kommentar zur
Vergänglichkeit einer Epoche und Metapher für das Neue, das auf den Müllbergen
der Vergangenheit entsteht.
Eine
grellere und weitaus zerstörerische Parodie der Discjokkey-Mode und weitaus
weniger musikalisch als bildnerisch kam Samstag von Project Dark mit ihrer
Performance "Excited by Gramophones". Per Computer fernbediente und
mit einem Projektor verbundene Mikrovideokameras filmten die krachend-zarten Berührungen
eines Tonabnehmers mit Knäckebrot, haarbeklebter Single, Schleifscheibe (16-er
Körnung), Kreissäge und anderen runden Sachen.
Was
die von den "Freunden der Guten Musik" getroffene Auswahl den
spektakulären, konzeptuell jedoch recht vorgestrigen Bildern und Skulpturen der
Saatchi-Sammlung voraus hatte, war Komplexität und selbstbewußte Orientierung
innerhalb langdauernder Entwicklungsprozesse. Anders als die Ausstellung dokumentierten
die meisten der Konzerte den fruchtbaren Austausch der alten Avantgarde mit den
Jungen und ihrer fortschrittlichen Elektronik.
Auch
der zum Schluß auftretende Pedal-Steel-Gitarrist BJ Cole ist ein alter Hase,
allerdings der Pop-Szene, der sich mit den Loops und Beats von Luke Vibert
alias Wagonchrist eingelassen hat - welcher aus Termingründen fehlte und sein
fertiges Elektromaterial von Guy Jackson verwalten ließ. Über die flotten vertrackten
Drum'n'Bass-Rhythmen spielte Cole, der die Pedal-Steel-Guitar von ihrer Country
& Western-Tradition emanzipiert hat (und ihr hier einen indischen Touch
verlieh), mit weiten, freischwingenden melismatischen Bögen und interessanten
Akkordglissandi hinweg. Nach vielen Konzerten voller Noise, Drone, Samples und
Dark Ambient ein unerwartet träumerischer Schluß. Matthias R.Entreß