27.6.99
BARTOK-NACHFOLGE
- AVANTGARDE IM VOLKSTON
SFB-Konzert
"Musik der Gegenwart" mit dem DSO unter Heinz Holliger
Béla
Bartóks relativ frühes Orchesterstück "Deux Images" (Zwei Bilder) von
1910 ist gewiß nicht sein prägnantestes Werk. In ihm aber vollzog er im
Großformat den entscheidenden Schritt vom französisch geprägten Impressionismus
zu jenem Ton nach, mit dem der Name Bartók fortan verbunden werden sollte: Zum
Klang der osteuropäischen Volksmusiken. Zart und schillernd das erste,
"realistisch" herb und derb das zweite, wurde "Zwei Bilder"
zur Überschrift des SFB-Konzerts "Musik der Gegenwart" am Samstag mit
dem DSO unter Heinz Holliger. Im Zentrum stand die in der Musik unseres Jahrhunderts
etwas aus dem Blickfeld geratene Fortentwicklung des direkten musikantischen
Ausdrucks und der klaren Emotionalität.
In
zwei Generationenschritten skizzierte das Programm die Geschichte dieser
Stilistik. Sándor Veress (1907-92) war Schüler und Freund Bartóks und wie
dieser begeistert von der ungarischen Volksmusik. Seine Komposition
"Threnos" auf den Tod Bartóks 1945 ist ein mächtig aufragendes
Monument der Trauer, von steinerner Gewalt und bitterer Feierlichkeit, die in
einem fahlen Kondukt ausklingt. Veress, vom Konzertrepertoire sträflich
vernachlässigt, wiederum war es, um den sich die Klage in Heinz Holligers
"(S)irató" (92/93) erhob. Der 60-jährige Holliger, als Komponist,
Oboist und Dirigent ein unvergleichliches Dreifachtalent, hatte bei Veress bereits
Mitte der 50-er Jahre studiert. Sein Stück zeichnet in immer heftiger
aufschäumenden orchestralen Klangfluten den Weg von der Erkenntnis des Verlusts
zum ohnmächtigen Zorn nach, bis die Seele, wie das ganze Orchester, in
Desorientierung erschlafft. Der Postserialist Holliger bekennt sich hier zum
unmittelbaren Ausdruck, wenn auch nicht im Volkston.
Ein
anderes Bild malte das 1996 komponierte Klarinettenkonzert des heute
91-jährigen Amerikaners Elliott Carter. Seine Musik geht klanglich weniger auf
Bartók als auf Schönberg zurück. Eine klirrend kalte Mechanik komplex
ineinandergreifender Stimmen dominiert in diesem von Ideen nur so sprühenden
Spätwerk. Der Klarinettist (Charles Neidich), wechselt zwischen den Gruppen des
solistisch besetzten Orchesters, den Zimmern, in denen Carter es sich seit
langem bequem gemacht hat. Ein mitreißend virtuoses Stück Musik, kongenial
interpretiert vom DSO und seinem Dirigenten.
Matthias
R.Entreß
Das
Konzert wird am 4.Juli um 20 Uhr auf radio kultur gesendet