EIN
MUSIKALISCHES KRANKENZIMMER
-
"e1ns" spielt Laederachs "Fahles Ende kleiner Begierden" in
der Steglitzer Uniklinik -
Das
künstlerische Prinzip der kleinen Theatertruppe "e1ns" ist das
Nomadisieren im Stadtraum. Für ihre neue Produktion hat sie sich im Hörsaal
West der Benjamin-Franklin-Uniklinik in Steglitz eingenistet und spielt dort
"Fahles Ende kleiner Begierden" von Jürg Laederach.
Zwei
ziemlich muntere Schwerverletzte, Han, ein 45-jähriger Mann und Amin "eine
10-jährige Frau" (kein Druckfehler), reden dort über das "Schwinden"
und andere Dinge zwischen Zeit und Unendlichkeit. Mit Absicht bekommt der Text
keinen Fuß auf den Boden. Sein Reichtum besteht in den Spekulationen, die er im
Zuschauer auslöst: Leben sie oder sind sie schon tot? [Ist es ein Krankenpfleger,
ein Zeremonienmeister, ein Professor oder - Gott, der sie beaufsichtigt und
ihnen in ihrer Desorientiertheit assistiert?] Sind es zwei Personen oder nur
eine? Woher, wohin? Ist die Wechselrede, deren Spannung und Witz in der
Doppeldeutigkeit zwischen Dummheit und Weisheit besteht, ein engelhaftes Ritual
vor der Himmelspforte?
In
Christian Barthelmes' Inszenierung ist der Text mit seinen zahlreichen
Gedankenstrichen und Fragezeichen eine Partitur, in der es nicht um Charakterisierung
der Personen geht, sondern um die Umdeutung von Gegensätzen ins Gleiche, wie
das bei Musik ja üblich ist.
Musikalische
Bettnachbarn von dem irgendwie irritierten Bernd Ludwig als Han und der
niedlich-altklugen Serok Park als Amin sind zwei ebenfalls "schwerverletzte"
koreanische Musikerinnen, die auf ihren Changgo-Sanduhrtrommeln, dem scheppernden
K'waengari-Gong und der Geige den Text pointieren und umspielen - mal zart, mal
ein fröhlicher Heidenlärm, bei dem an Sterben nicht zu denken ist. An der Wahl
dieser Stilmittel erkennt man das nomadische Prinzip von "e1ns" - sie
nehmen, was kommt, aber das Ergebnis der Verschmelzung der eigentlich
disparaten Elemente Ort, Text und Musik ist absolut zwingend und natürlich.
Während man sich fragt, wie das alles eigentlich zusammenpaßt, amüsiert man
sich köstlich im Schwebezustand, in den das Spiel einen versetzt. Im Gedächtnis
behält man nicht die Handlung, sondern einen Klang, ein Gefühl - diese
Aufführung hat das Zeug dazu, "Kult" zu werden. Heute und an den drei
Oktober-Wochenenden.
Matthias
R.Entreß
Universitätsklinikum
Benjamin Franklin, Eingang West, Steglitz, Hindenburgdamm 30.
Heute,
9.10., sowie am 10.,11.,16.-18., 24.,25.Oktober jew.20.30. Kartentel.: 285 95 58