6.8.99

BIGBAND-JAZZ ALS KRONE DER SCHÖPFUNG

Das Berlin Contemporary Jazz Orchestra im Studio 10 des Deutschlandradios

 

Komposition im Jazz muss immer heißen: Die Vereinigung von Improvisationslust und -Talent der Spieler mit einer nicht nur behelfsmäßigen Struktur des gesamten Ensembles.

Alle zwei Jahre findet sich das <1987 im RIAS gegründete> Berlin Contemporary Jazz Orchestra zusammen, um diese Quadratur des Kreises anzustreben. Am Donnerstag, nach einer aufreibenden Probenwoche stellte es im überfüllten Studio 10 des Deutschlandradios (einem viel zu selten für Konzerte genutzten Saal mit glänzender Akustik!), neue Stücke der beiden Orchesterleiter Aki Takase und Alexander von Schlippenbach vor, die dem Begriff Komposition Inhalt und Leben verliehen.

Seit Schlippenbach 1966 mit seiner Free-Jazz-Komposition "Globe Unity" europäische Jazz-Geschichte schrieb, hat er sich mit den unausweichlichen Problemen der großen Besetzung im Jazz aller Stilrichtungen kreativ auseinandergesetzt. In seinen den fünf Holzbläsern des Orchesters gewidmeten "Sketches for the Reeds" kam er zu dem überraschenden Ergebnis, die Solisten nicht in ein symphonisch geschlossenes Stimmungsbild einzupassen, sondern umgekehrt die orchestrale Begleitung von ihrem jeweiligen Temperament her zu erfinden. Das führte zu heftigsten Stilwechseln und einer um Einheit unbekümmerten Zeitreise durch 60 Jahre Bigband-Jazz. Wenn von den beiden Altsaxophonisten Henrik Walsdorff und Felix Wahnschaffe der eine das freie Spiel und der andere das Hard-Bop-Idiom vorzieht, so wurde die wie schwerelos folgende Umgebung dem absolut gerecht. <Evan Parker, der auch hier nicht auf sein Party-Piece, das durch Zirkular-Atmung minutenlang ohne Absetzen zu einem Käfig voll tropischer Vögel verwandelte, chaotisch schnatternde Sopran-Saxophon, verzichten wollte, wurde dagegen mit zäh schiebenden Posaunenakkorden konfrontiert.>

Während Henry Lowthers senatsgesponserte Auftragskomposition "E mona" in einem unavancierten Standard-Swing versumpfte, ließen Aki Takases Stücke und vor allem ihre Eric-Dolphy-Bearbeitungen an Klarheit und Kraft nichts zu wünschen übrig. Diese phänomenale Vollblutmusikerin, ein wahrer Vulkan, hier residierender Weltstar des Jazz, lieferte sich in ihrem "Ten to Sen" ein paar harte Klavier-Duo-Gefechte mit Ehemann Schlippenbach. Die sperrige Substanz der eher selten gespielten Themen Eric Dolphys (1928-64) wurden von ihr bis hin zur Zerstörung und satirischen Umdeutung seziert. In einer kurzen Duo-Passage an der glockenhellen Celesta mit Bassklarinettist Rudi Mahall überraschte sie mit einem Rückblick in die süßen 20-er Jahre. Ob bei partiturmäßig niedergeschriebenen Abschnitten oder gelenkten Improvisationen, ob am Klavier oder beim Dirigieren, die Musik empfängt von ihr die Körperlichkeiten von Ballerinen bis hin zu schweißnassen Sumo-Ringern. Mitreißend!

Zweitens: Man verzichtete auf elektrische Verstärkung. Der Klang - ein Traum. Perfekte Balance. Musikalische Power ohne Ohrenweh. Und wer glaubte, man müsse doch wenigstens die Solisten etwas hervorheben, der wurde hier belehrt: Man hört sie, was immer sie machen.

Matthias R.Entreß

 

Das Konzert wird am Di, 10.8. um 20 Uhr im Deutschlandradio (89,6 MHz, Kabel 97,5 MHz) gesendet