MUSIK,
MIT GERÄUSCH VERBUNDEN
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AMM und E.A.R., zwei Generationen der britischen Improvisationsmusik im
Hamburger Bahnhof
Improvisierte
Musik ist keineswegs immer nur ein anderes Wort für Free Jazz. Zwei jazzfreie
Gruppen, kulturell durch Welten getrennt und doch auf überraschende Weise
miteinander sympathisierend, wurden am Donnerstagabend im Begleitprogramm zu
"Sensations", der Großausstellung junger britischer Kunst im
Hamburger Bahnhof vorgestellt.
AMM
haben sich vor über dreißig Jahren als freie Radikale der E-Musik gegründet und
treten seit den frühen 80ern in der jetzigen Triobesetzung auf. Pianist John
Tilbury ist einer der prominentesten britischen Interpreten zeitgenössischer
Musik und kann auf ein praktisch unbegrenztes Vokabular von Anschlagsarten und
musikalischen Versatzstücken zurückgreifen. Keith Rowe schabt, kratzt und zerrt
aus seiner wie zur Reparatur auf einem Tisch liegenden elektrischen Gitarre
allerlei Geräusche hervor, Eddie Prévost bedient sein Schlagzeug im Sinne
sinfonischer Musik. Das Prinzip der Gleichzeitigkeit dominiert vor dem der
psychologisch-dynamischen Interaktion, die große Unabhängigkeit voneinander
läßt langsame Entwicklungen und sorgfältig gesetzte individuelle Einwürfe zu.
Ihr Stück an diesem Abend, wie stets eine ungeplante Komposition, die aus sich
selbst heraus entsteht, isoliert den Pianisten über weite Strecken hinter einem
Vorhang kantigen Lärms, bis es, einem erloschenen, ewig sich ausbreitenden
Universum gleich, in Stille versinkt.
E.A.R.
(engl.Abk. für Experimentelle Hörforschung), die Gruppe von Sonic Boom (Pete
Kember), entstammt einem ganz anderen kulturellen Zusammenhang, dem
psychedelischen Drone-Rock. Aber es kennzeichnet die Offenheit der britischen
Musikszene, daß einige der "Dark Ambient" Gruppen ihre massiven
Dröhn-Orgien an den Improvisationsstrukturen AMMs schulen - dessen Mitglied
Eddie Prévost seit einigen Jahren auch bei E.A.R. trommelt.
Sonic
Boom, ein junger schmaler Mann, der unter seinen ihm über die Augen fallenden
Haaren niemals lächelt, erzeugt die wabernden Klangwolken an einem aus den
70ern stammenden Synthesizerpark, Pete Bassman (Baßgitarre), Tom Prentice
(E-Bratsche) und Prévost ergänzen den fast stehenden harsch-atonalen nur
halbstündigen Gesamtklang.
Matthias
R.Entreß