1998
KRIEGER
AUF KALTEN ENTZUG
Jan
Fabres Inszenierung vom Untergang des Krieges im Hebbel-Theater
Die
Nerven liegen blank im Uniformdepot, denn Frieden herrscht, o Graus. Der Krieg
liegt auf Halde und mit ihm der General, sein Adjutant, Soldaten,
Sanitäterinnen. Während der Befehlshaber in der weißen Galauniform noch von
glorreichen Schlachten träumt, spielt das restliche Kriegspersonal verrückt.
Vergewaltigungsopfer, untenherum zum Teil entblößt, zucken in fürchterlicher
Ekstase. Uniformen werden aus den Regalen gerissen und zu imaginären
Leichenbergen angehäuft...
Jan
Fabre, der flandrische Alleskünstler, hat in seinem nicht mehr so ganz neuen
Stück "The fin comes a little bit earlier this siècle (But business as
usual)", uraufgeführt letzten November in Antwerpen, und erst jetzt im
Berliner Hebbel-Theater zu sehen, eine vom Außen abgeriegelte Welt geschaffen,
die ihre Verwandschaft mit den Horrorbildern Hieronymus Boschs, Pieter
Breughels d.J. und James Ensors nicht verleugnen kann.
In
der Vorstellung des "Generals", mit wilder Mähne Urbild des Kriegers,
sind Kriegsleiden und Heldentum Bedingungen des Lebens. Frieden gilt ihm bloß
als Vorbereitung auf den nächsten Krieg. Im Frieden wird der Soldat zum
Eintänzer, zum nutzlosen Subjekt. Eingesperrt im Depot ergeht sich alles in
beharrlicher Mobilmachung, die sich immer wieder totläuft. Krampf in tausend
Varianten; von Hysterie bis hin zu Schüttellähmung sind alle
Entzugserscheinungen zu beobachten.
Musik
im Lager, auf dem Felde. Die leidenschaftlich durchglühten Klänge Janaceks (mit
dem Antwerpener Spiegel String Quartet) wirken hier skandalöser als die
grotesken Glissandi von Iannis Xenakis' "Tetras".
Doch
es ist kein formloses Tohuwabohu. Jede krampfartige Aktion schafft auf der
Bühne eine neue Ordnung, einen neuen - düsteren - Zustand. Die Evolution, so
Dramaturgin Miet Martens, ist eine Folge von Kriegen und Kämpfen. Als Warnung
kommt das Stück (eigentlich mehr eine lebende Installation mit Ansprachen) zu
spät. Im Licht des Kosovokrieges wirkt die Botschaft wie blanker Zynismus.
Trotzdem Riesenbeifall fürs Ensemble, vor allem für den unzivilisierbaren
"General" von Jan Decorte und für die langjährige Muse Fabres, die
Tänzerin Els Deceukeller, die von der Aufführung hoffentlich keinen
Nervenschaden davontragen wird.
Matthias
R.Entreß