18.11.02
Alte und neue Klänge aus China
"Urban + Aboriginal: China" nimmt die Globalisierung als kulturelle Chance
 
Die traditionelle Musik aus den ländlichen Regionen Chinas steht auf der Liste der sterbenden Künste. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es z.B. in der Umgebung Xians/Prov.Shaangxi, der alten Hauptstadt Chinas, hunderte von Dorfkapellen, die an Feiertagen musizierend zu den heiligen Stätten zogen, um dort religiöse Rituale zu begleiten.
Jetzt existieren dort, wo die Seidenstraße begann, nur noch wenige dieser Musikgruppen, und eine davon konnte für zwei Auftritte bei "Urban + Aboriginal: China" der für die kulturelle Öffnung immer wichtiger werdenden Freunde Guter Musik e.V. am vergangenen Wochenende gewonnen werden. Die Musik des Ensembles "Xian An Guyue", vierzehn Bauern und Bäuerinnen aus dem "Östlichen Dorf der Zehn Tugendhaften", ist sehr herbe, von einer strikten klanglichen Gestalt.
Eine große Gruppe im Chor gespielter Mundorgeln (Sheng) und Trommeln dominieren, Flöten und Oboen umspielen die meist heroischen Melodien. Die beißende Obertonreinheit hat den Zweck, die Musik unter freiem Himmel weithin hörbar zu machen. Wie anstrengungslos die drei Sängerinnen ihren Stimmen die Gläser sprengende Schärfe verleihen! Musik gehört derzeit noch zum Alltagsvergnügen der Bauern aus Xian. Doch den ersten Schritt hin zu einer Professionalisierung haben sie getan, denn der asienweit bekannte Musikologe Li Mingzhong aus Xian, hat die alten Quellen studiert und wacht über die Authentizität der Musik. Li Minghzong stellte am Sonntag auch eine bereits untergegangene Alltagsmusik vor: das fast heimlich leise und scheinbar improvisatorisch offene Spiel auf dem Guqin, einer bundlosen Wölbbrettzither. Glissandi und Flageoletts auf ihr erklingen zu lassen, war das Privileg und die Pflicht der hohen Beamten und Gelehrten im alten China.
Doch die chinesische Musik ist längst in der Gegenwart angekommen. Ohnehin ist der Klanggestus besonders des martialischen Stils ganz nah am exaltierten geräuschhaften Expressionismus des Westens. Min Xiao-Fen kam mit ihrer Laute Pipa, um den Berlinern zu zeigen, dass es sowas in China, neben den süß-romantischen Naturbeschreibungen, schon seit 1000 Jahren gibt. Überraschend fremdsprachig aber war dann ihr Dialog mit dem 72-jährigen englischen Free-Music-Pionier und Gitarristen Derek Bailey, dessen harsche Chromatik sie allzu lyrisch in chinesische Melodik übertrug.