5.9.02  

Großer Atem und Swing  

Ray Blue-Trio im b-flat      

Dieser Saxofonist ist mit sich im Reinen, ihm gehört die ganze Welt des Jazz: Ray Blue ist wieder in Berlin. Was den New Yorker, der den Kummer des schwarzen Mannes, vor allem den amerikanischen Rassismus, erfahren hat, von anderen schwarzen Jazzmusikern unterscheidet, ist, dass er seine Musik von jeglicher Aggressivität freihält. Mit zupackender Zuversicht und der samtenen Patina seines Tenorsaxofons schwingt sie sich auf, egal ob in Erinnerung an den heißen Swing der dreißiger, den kühlen Bop der fünfziger Jahre oder mit langen Soul-Kantilenen. Niemals versucht Ray Blue, Formen oder Ausdruck zu erzwingen. "Musik muss atmen", betont er, "sie muss atmen und swingen dürfen. Die Musik muss ihren Weg gehen. Sie muss passieren, wir können es nicht kontrollieren." Zu dieser fast fernöstlichen Weisheit gelangte er auf dem Weg durch das Gestrüpp der zeitgenössischen Stile, bis hin zum Free Jazz und durch die Verantwortung gegenüber der Tradition: "Jazz hat eine breite Basis verschiedener Kulturen, aber die stärkste ist die afrikanische." Aus ihr folgt das in jedem Takt von Ray Blues Musik gegenwärtige lustvoll treibende rhythmische Konzept des swing. Der Jazz ist für ihn die Erfahrung eines großen Erbes.   Heute abend tritt er in Trio-Besetzung im b-flat auf - ohne Schlagzeug. Intimer Kammerjazz? Nein, nicht nur, widerspricht er. Klavier und Bass seien für ihn durchaus Rhythmusinstrumente. "Nur weil kein Schlagzeug dabei ist, fehlt doch nicht der Drive! Der Unterschied liegt darin, wie der Rhythmus zum Teil der melodischen und harmonischen Strukturen wird." Mit Earl Bostic am Bass und Pianist Helmut Bruger, der in der Bostoner Jazzschmiede Berklee studiert hat, findet die heilige Dreieinigkeit des Jazz aus Melodie, Harmonie und Rhythmus ihren Platz auf Erden.  

Matthias R. Entreß