17.8.01  

Love Story auf die harte Tour  

"Hole in the Sky" von Kazuyoshi Kumakiri      

Warum sind es immer die jungen Menschen, die in japanischen Filmen die großen, gewaltigen Lebenskrisen erfahren? Weil die Regisseure selber so jung sind. (Die älteren machen andere Filme.) Auch Kazuyoshi Kumakiri war erst 26, als er seinen neuesten Film, "Hole in the Sky", drehte, und in seine Love-Story die sattsam bekannten Elemente japanischer Jugend-Melancholie einbaute, dabei aber eine männlichere Gangart als gewöhnlich einlegte.   Der junge Ichio hat in seinem Leben noch keine Initiative ergriffen. Er arbeitet als Koch in seines Vaters Autobahn-Restaurant "Loch im Himmel" das dieser in der Einöde der nördlichen Insel Hokkaido nah einem Militärflugplatz baute, als Tribut an seine Marotte für Flugzeuge und Piloten. Ichio ist einsam, ohne Perspektive und fremd unter den als plump mit mongolischem Einschlag geschilderten Einheimischen. Da wird das Mädchen Taeko von ihrem Freund ausgesetzt. Auch sie befindet sich noch in der Probephase des Lebens, einen Zustand, den sie kalt beobachtend ausagiert. Die Annäherung der beiden ist ein Prozess des Werdens, in dem Spiel und Ernst nah beieinander liegen. In den konfliktbeladenen Situationen brodeln bei Ichio die unverdauten Kindheitstraumata hoch. Während Taeko, die im Restaurant aushilft, einen Prozess der Anpassung durchläuft, nimmt sie unwillentlich die Rolle von Ichios Mutter an, die den Vater und ihn schon vor vielen Jahren verlassen hatte. Aus dieser Übertragungssituation wächst in Ichio ein brennendes Liebesgefühl. Aber nicht um sexuelle Begierde geht es, sondern um eine Erweckung, um die Entflammung des Daseins. Im Chaos der Gefühle ergeben sich emotionale und kongenial ins Filmische umgesetzte Erregungen wo man sie nicht erwartet. Taeko, die selber im Stich Gelassene, kann nicht bleiben. Doch Ichio fordert Treue und Beständigkeit. In seiner Treue zu dem Mädchen wächst er über sich hinaus, prügelt sich gar mit ihrem weggelaufenen Freund, doch sie will sich nicht fesseln lassen und enttäuscht Ichio in für ihn nicht hinnehmbarer Weise. Hier wird die Kameraführung, "Dogma"-artig verwackelt, zum visuellen Sprachrohr der inneren Zerrissenheit des verzweifelten Pärchens und macht den Zuschauer zur dritten Person. Der Film erhält damit eine ausdrucksmäßige Spannweite, die die anfangs etwas mühsame Poesie des Alltags relativiert und ein dramaturgisches und ästhetisches Gespür des jungen Regisseurs Kumakiri verrät, das wohl noch an Feinheit gewinnen wird. Er müsse "Filme auf die harte Tour machen", sagt er. Und diese "Härte" liegt nicht in den Charakteren, sondern im Mut, sich einer Wirklichkeit auszusetzen, die selber in ständiger Wandlung begriffen ist.  

Matthias R. Entreß