1.4.02

Kreative Konzepte

Die 4.Gwangju-Biennale in Südkorea stellt sich den Herausforderungen der
Globalisierung



Die vierte Kunst-Biennale in der im Südwesten Koreas gelegenen
Millionenstadt Gwangju ist eine Leistungsschau besonderer Art. Denn was sich
sonst in diesen Zeiten des individuellen und kollektiven Überlebenskampfes
zumindest in Korea niemand traut, öffentlich innezuhalten, der Reflektion
und dem gedanklichen Ausschweifen den Vorrang zu geben, das ist das Motto
dieses größten koreanischen Kunstfestivals: "P_A_U_S_E". (Anm.: In
Großbuchstaben und mit leeren Unterstrichen) Doch geht es nicht um die
Rückkehr zu den Wurzeln der asiatischen Lebensphilosophien, sondern es soll,
so der Wille des Kuratorenteams um den Biennale-Leiter Wan-kyung Sung, den
Künstlern die Möglichkeit gegeben werden, alternative Denkstrukturen zu den
verfehlten sozialen und ökonomischen Konzepten des 20.Jahrhunderts zu
entwerfen. Was als einziges diese Biennale als asiatisch oder koreanisch
kennzeichnet, ist die Heftigkeit, mit der die neuen Konzepte angemahnt
werden. Besonders Korea ist durch die Weltwährungskrise, einem Unfall der
Globalisierung, in ihren Grundfesten erschüttert worden.

Keine fertigen Werke zumeist, sondern Prozesse. Die Besucher begegnen
Künstlern bei der Arbeit, oder deren Spuren und Archiven. Nicht mehr das
Medium ist die Message: vor der ästhetischen Verpflichtung steht jetzt die
ethische und soziale. Deutlichstes Beispiel für dieses verantwortliche
Handeln ist die Kopenhagener Gruppe "Superflex", ein echter Ideenpool. Sie
hat u.a. eine Mini-Biogasanlage für afrikanische Normalfamilien entworfen
oder machte in Liverpool eine TV-Sendeanlage alten Menschen zugänglich.

Derartige dem sozialen, auch ästhetischen Fortschritt dienende
Kollaborationen finden sich in den vier Hallen des Hauptprojekts in Gwangju
viele. Es gibt viel zu lesen, am Computer zu erclicken, zu blättern und zu
suchen. Äußerlich der spröden letzten Dokumenta nicht ganz unähnlich, zwingt
doch jede Präsentation zu einem Verhalten, das eher Teilnahme als
Betrachtung ist. Dazwischen als Ruhepole Pavillons, in denen eher die
Wahrnehmung gefragt ist, und die Entspannung. Man kann sich in eine riesige
aufgeblasene Nike-Sportschuh-Nachahmung von Olaf Nicolai verziehen, in
Motohiko Odanis Video-Installation "9th Room" den Schrecken eines endlosen
Sturzes zwischen den Spiegeln überstehen oder sich zwischen islamisierten
Bildern weltbekannter Sehenswürdigkeiten ausruhen. Tanzen gehen.
Schamanistische Rock Performances besuchen. Philippinische Kurzfilme gucken.
Japanische Comics lesen. Und vieles mehr. Neben "P_A_U_S_E" rücken die drei
anderen Projekte etwas an den Rand. Insbesondere wegen der Wiederaneignung
des ehemaligen Geländes der Militärpolizei, die für das Massaker am 18.Mai
1980 verantwortlich war, muss man einen zweiten Tag einplanen.

Matthias R. Entreß



Gwangju-Biennale, noch bis 29.6., Joong-Oe Park, Gwangju/Südkorea, tgl. 9-18
Uhr. www.gwangju-biennale.org