4.11.01  

Geschaffen und zerstört  

Premiere: John Caskens "Golem" mit der Neuen Opernbühne Berlin      

An der Grauen erregenden Legende von der Erschaffung des Golem strickten viele Kulturen: Aus tiefer Not erschafft ein Mann Gottes einen Menschen aus Lehm, der seinem Schöpfer gehorsam sein und die Bedrohung vom Volke abwenden soll. Doch ist er nicht gehorsam, er nimmt menschliche Eigenschaften an und zerbricht an der Feindseligkeit derer, denen er helfen sollte.  

John Caskens Oper "Golem", komponiert 1989, wirft mit der Geschichte von Rabbi Löw, hier Maharal genannt, und seinem Geschöpf die Konflikte zwischen Zweck des Lebens und Ethik sowie zwischen dem Fremden und der durch Leiden verrohten Gemeinschaft auf. Aber schon schnell wird in der Aufführung der "Neuen Opernbühne Berlin", die am Sonnabend in der Probebühne Cuvrystraße Premiere hatte, deutlich, dass die Mittel, derer Casken sich bedient hat, der gebotenen Schärfe entbehren. Zu lang sind die faden Dialoge, denen der Gesang aufgezwungen wird. Zu dürftig auch sind sie, um die feineren psychologischen Vorgänge, etwa zwischen dem Golem und Maharals mitfühlender Frau Miriam zu fundieren. Das Regiekonzept von Alexander Paeffgen wird zerrissen zwischen ritueller Stilisierung und den allzuvielen Details, die wohl eher eine filmisch-realistische Umsetzung verlangen. Die mit etwas Sperrmüll dekorierte Spielfläche (Ausstattung: Benita Roth) zwischen den beiden Tribünen drängt den Zuschauern eine Nähe auf, wo das Stück selbst auf Illusion baut.  

Während der Maharal des redlich sich mühenden Jörg Gottschick blass bleibt, gelingt es Assaf Levitin als mit naivem Interesse die Welt entdeckender Golem als einzigem, die Sympathien auf sich zu ziehen. Und nur einer stellt sich dem ver werflichen Handeln des Maharal entgegen, der wie ein Schlachtopfer blutüberströmte Ometh (Countertenor Tim Severloh), eine Allegorie auf Ethik und menschliches Leid.  

Zum ausufernden Text passt die ihn ganz direkt kommentierende Musik, die mit dem nur elfköpfigen Orchester unter Andreas Schüller eine allerdings beeindruckende Fülle und Farbigkeit erreicht. Ihre helle Stimmung, ihre Lebhaftigkeit, für sich genommen ein echter Genuss, will sich so gar nicht zum düsteren und ernsten Thema fügen. Fast zwei Stunden fließt sie so dahin, tritt kaum einmal über die Ufer und reißt den Hörer nicht mit sich in die tragische Verstrickung, die mit der Zerstörung des Golems endet.  

Caskens Werk erlebte seine Erfolge auf der ersten Welle des musikalischen Neokonservatismus in England. Was bleibt, ist das traurige Gefühl, dass die hervorragenden Kräfte der Neuen Opernbühne, das klanglich bewundernswert präzise Orchester, die schönen, wandlungsfähigen Stimmen, an einem Werk gescheitert sind, dessen Zeit bereits vorüber ist.  

Matthias R. Entreß      

Probebühne Cuvrystr.7, Kreuzberg, Tel.: 21753588. 6./7. und 9.-11.Nov., jew. 20 Uhr   Infos: www.neueopernbuehne.de