17.9.01
Der vergessene Mainstream der Moderne
DSO unter Jürg Wyttenbach mit Werken von Eduard
Erdmann und Artur Schnabel
Die relevante Musik der 20er, 30er und 40er Jahre, das
ist heute vor allem die klanglich und formal hochkonzentrierte Musik der Zweiten
Wiener Schule, des Kreises um Arnold Schönberg. Doch das, was von der
Mehrheit der damaligen Komponisten fabriziert wurde, ist heute mehr oder weniger
vergessen. Die parallel zum Schönberg-Schwerpunkt der Berliner Festwochen
laufende Konzertreihe um den Komponisten Artur Schnabel hat den Mut, die
Hörer mit einem nicht-avantgardistischen "Mainstream" bekannt zu
machen, dessen Idiom den elitären Qualitätsansprüchen heute kaum
mehr genügt. Am Sonntagabend standen beim DSO in einer Veranstaltung des
DeutschlandRadios zu Gast im SFB-Sendesaal das "Konzertstück für
Klavier und Orchester" op.18 (1946) von Eduard Erdmann (1896-1958) und
Schnabels 1944 entstandene 2.Sinfonie zur Diskussion. Was diese Stücke
einander verwandt macht, ist ihre etwas unbiegsame, halbtonale Ersatzmelodik,
die zwar Vitalität signalisiert, aber nicht "zum Herzen spricht".
Erdmann, wie Schnabel hauptberuflich einer der gefeiertsten Pianisten seiner
Zeit, führte die einzelnen Gruppen des Orchesters vorwiegend linear und
ritt im finalen Rondo endlos auf einer "lustigen" Melodie herum. Den
schwachbrüstigen Klaviereinwürfen konnte Solist Stefan Litwin nicht
den Druck verleihen, der den Solopart gerechtfertigt hätte.
Gegen diesen diffusen Klassizismus hatte Artur
Schnabels 2.Sinfonie, die als Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens
gilt, ein leichtes Spiel. Anders als Erdmann spart er nicht mit Ideen. Mit einer
rabiaten Konsequenz schüttet er eine Überfülle durchaus
disparater Motive in die orchestrale Brennkammer und lässt sie sich
erproben. Die vier Sätze folgen nicht den traditionellen Satzcharakteren,
sondern sind eher Etüden über das freie Spiel der Kräfte. Die
fantastische Vielstimmigkeit erinnert fast an Charles Ives (dessen Musik
Schnabel kannte). Schnabel lässt sich von seinem an sich banalen, zwischen
Tradition und Moderne schwankenden Material an dessen Grenzen tragen und feuert
es in einem wahnwitzigen Taumel auf Überlast. Klang, aber auch Rhythmen
befinden sich in einem unaufhörlichen Wandel. Stress pur für das wegen
eines eingeschobenen Gedenkkonzertes nicht fertig geprobte DSO unter dem wacker
die Zügel straff haltenden Dirigenten Jürg Wyttenbach.
Matthias R. Entreß